„Der Bedarf ist groß, unser Angebot so gut – davon sollten mehr Mädchen profitieren.“

Seit mehr als 25 Jahren sind unsere hochgeschätzten Kolleginnen Christiane, frisch gekürte Else-Falk-Preisträgerin 2024, und Angela ein besonderer Teil des Handwerkerinnenhaus Köln e.V. Besser als die beiden kann wohl niemand von den Anfängen und der Entwicklung des Hauses erzählen.

Liebe Christiane, liebe Angela, Ihr seid seit über 25 Jahren wichtiger Teil des Hauses und habt maßgeblich zum heutigen Erfolg beigetragen. Erinnert Ihr Euch an Eure Anfänge hier?

Christiane: Als ich 1997 als ABM-Kraft für den Bau des Mädchenwerkstattgebäudes ins Handwerkerinnenhaus kam, gab es keine Festangestellten. Alle Stellen wurden über ABM und andere Maßnahmen finanziert. So z.B. auch die Stellen für das Projekt „Frauen(t)räume“ – zeitweise arbeiteten in dem Projekt (neben einer Tischlermeisterin) mindestens 10-12 Frauen auf ABM-Basis.

1998 gab es erstmalig vier Festangestellte. Im Mädchenprojekt Zukunft waren das zwei Tischlerinnen und zwei Sozialpädagoginnen. Das änderte sich 2005 mit der Realisierung von ‚Holly Wood‘, das die Einstellung von zwei Sozialpädagoginnen und drei Handwerkerinnen ermöglichte. Der Vorstand war ehrenamtlich – und das noch bis 2021.

Angela: Ich war selbständig als Schreinerin tätig und irgendwann alleinerziehend. Das vertrug sich nicht. Ich hatte im Haus schon Kurse gegeben und wurde vom damaligen Vorstand angesprochen, ob ich im Mädchenprojekt anfangen möchte. Der Schulmüdenbereich sollte aufgebaut werden. Ich hatte vorher schon in einem Bonner Mädchenprojekt gearbeitet und brachte entsprechende Erfahrung mit. Zusammen mit der damaligen Sozial-Pädagogin haben wir die ‚Kneifzange‘ aufgebaut. 15 Jahre lang waren wir ein tolles Team, obwohl es nicht einfach war: Wir hatten nur Jahresverträge und nur winzige Büroräume.

Was ist für Euch das Besondere am Handwerkerinnenhaus?

Angela: Für mich ist es einfach toll, dass ich die Mädchen unterstützen, sie fördern und ihnen durch meine Arbeit die gleichen Chancen ermöglichen kann. Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede sind einfach furchtbar. Ich habe selbst als einziges Mädchen unter 500 Schreiner-Azubis entsprechende Erfahrung gemacht. Die Bedingungen im Betrieb waren für mich als Frau nicht besonders. Viele nackte Frauenbilder im Spind und Sprüche… Für mich ist es aber einfach ein toller Beruf, der die Liebe zur Schreinerei mit der Unterstützung der Mädchen kombiniert – eine echte Leidenschaft.  

Christiane: Unser Einsatz für Geschlechter- und Bildungsgerechtigkeit, für die Verbesserung der Chancen für Mädchen auf ein selbstbestimmtes Leben und das in Verbindung mit dem werkpädagogischen Ansatz – das sind einfach meine Herzensthemen, für die ich mich auch schon immer in Politik und Gesellschaft einsetze. Die Verknüpfung der praktischen mit unserer politischen Arbeit und zu merken, dass ich damit etwas bewegen, etwas verändern kann für die Mädchen, das erfüllt mich sehr.

Es ist so schön zu sehen, wie schnell die Mädchen lernen, mit wieviel Freude und Durchhaltevermögen sie dabei sind, wie gut sie sich bei uns entwickeln. Darauf bin ich sehr stolz. Und wir können die Mädchen durch die Durchlässigkeit der Bausteine im ‚Mädchenprojekt Zukunft‘ wirklich nachhaltig unterstützen.

Und: Es ist für mich auch einfach ein wunderschöner Ort hier zum Arbeiten. Ein Mädchen hat es mal als „Oase“ beschrieben – das trifft es exakt. 

Wie haben sich die Herausforderung in der Arbeit mit den Mädchen verändert?

Christiane: Ganz auffällig ist die steigende psychische Belastung der Mädchen. Diese Entwicklung war bereits vor Corona sehr offensichtlich. Ich stelle auch vermehrt versteckte und offensichtliche Armut fest, was ich besonders bestürzend finde, aber auch die Retraditionalisierung der Geschlechterrollen sehen wir in den Gesprächen mit Mädchen, forciert über die digitalen Medien. Das macht mir wirklich Sorgen. Sexismus, Gewalt und Mobbing finden noch ungebremster unter dem Deckmantel der Anonymität in Social Media statt. Es ist daher so wichtig, dass jetzt schon in Sachen KI Vorkehrungen getroffen werden!

Angela: Die Mädchen haben viel mehr Schwierigkeiten, sie haben generell weniger Anlaufmöglichkeiten. Viele Jugend-Angebote, wo sie sich früher aufhalten, ihre Freizeit verbringen konnten, wurden abgeschafft. Stattdessen kamen die sozialen Medien auf. „Ich hänge die ganze Nacht an TikTok.“, das sagen uns die Mädchen heute. Natürlich fällt es ihnen dann schwer, aufzustehen, pünktlich in der Schule anzukommen und dann noch konzentriert zu arbeiten. Wir müssen insgesamt viel mehr auffangen. Die Mädchen sind psychisch viel mehr belastet. Es ist eine stete Entwicklung schon lange vor Corona.  

Christiane, du warst lange auch im Vorstand tätig und hast damit auch nochmal einen anderen Blick…

Christiane: Ich war neben meiner eigentlichen Arbeit in der Pfiffigunde von 2000 bis 2016 im ehrenamtlichen Vorstand, gemeinsam mit Andrea Braun und Iana Hellwig. Was sich durch all die Jahre hindurchzieht, ist der Energieaufwand für eine auskömmliche Finanzierung unserer Arbeit. Vieles konnte geschafft werden – durch beharrliche Lobbyarbeit und Akquise konnte 2003 das ‚Mädchenprojekt Zukunft‘ (mit Prävention und Intervention) in die Strukturförderung des Landes NRW überführt sowie städtische Förderung und Stiftungsgelder akquiriert werden. 2005 konnte der von mir konzipierte Bereich ‚Holly Wood‘ mit EU-Geldern starten und später die städtische Förderung erreicht werden. Dafür bin ich sehr dankbar! Trotzdem: Es ist ein ewiger Kampf um die finanzielle Sicherung des Hauses. Auch in diesem Jahr stehen 50 Prozent unserer kommunalen Förderung zur Disposition. Das betrifft unsere Strukturen und das finde ich doch sehr bedauerlich. Wir erhalten so viel Anerkennung und Wertschätzung gerade auch von der Stadt, über die wir uns sehr freuen, trotzdem müssen wir die Gelder immer wieder verhandeln. Das raubt sehr viele Ressourcen im Team, die wir lieber für die Mädchen einsetzen würden.

Was wünscht Ihr Euch für die kommenden Jahre für die Mädchen und das Haus?

Angela: …dass wir weiter die Mädchen unterstützen und fördern können, mind. im bisherigen Rahmen. Und dass es ganz selbstverständlich ist, dass Mädchen ins Handwerk gehen.

Christiane: Natürlich wünsche ich mir weiterhin eine verlässliche Finanzierung. Da sind wir dem Land NRW, der Stadt Köln und unseren langjährigen Stiftungspartnerschaften sehr dankbar.

Darüber hinaus wünsche mir natürlich eine Erweiterung unseres Angebots. Wir müssen noch früher anzusetzen, in der Kita und in der Grundschule, das halte ich für immens wichtig. Da wir für zusätzliche Angebote und das entsprechende Personal mehr Platz brauchen, hat ein Anbau an unser Mädchenwerkstattgebäude gerade höchste Priorität.

Außerdem wären eine Zweigstelle rechtsrheinisch und Ableger in ganz NRW ein Traum! Der Bedarf ist einfach so groß und unser Angebot so gut – davon sollten mehr Mädchen profitieren!

Das Interview führte Mira Sin.