„Ihr habt dazu beigetragen, dass wir nicht abgerutscht sind.“

11. April 2024

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Mit 14 Jahren waren sie zum ersten Mal im Handwerkerinnenhaus. Heute arbeitet Jana, 26, seit 10 Jahren glücklich in ihrem Traumberuf als Augenoptikerin. Ihre Schwester Justine, 26, schloss nach einer Ausbildung und einem Jahr Arbeit als Orthopädietechnik-Mechanikerin eine 2. Ausbildung an. Seit August 2023 arbeitet sie als Pflegefachkraft.

Liebe Jana, liebe Justine, Ihr seid 2011 zum ersten Mal ins Handwerkerinnenhaus gekommen? Wie kam es dazu?

Jana: In der 7. Klasse durften wir durch ein Angebot unserer Schule einen Praxiskurs bei euch machen. Das hat uns viel Spaß gemacht, so dass wir danach einmal in der Woche nach dem Unterricht zu euch gekommen sind, in den Kurs „Mädchen machen Karriere“. Dort waren wir bis zum Ende der Realschulzeit. Das war gut, weil eine Sozialpädagogin und eine Handwerkerin den Kurs betreut haben. Die Sozialpädagogin hat uns in der Berufsorientierung unterstützt und mit der Handwerkerin haben wir den praktischen Teil gemacht. Wir haben zwar auch eine gute Unterstützung von unseren Eltern bekommen, aber viele Mitschülerinnen nicht. Für die war es gut, dass sie bei euch Unterstützung bei Bewerbungen, Recherchen oder Tipps zu Anlaufstellen bekommen haben. Wie habt ihr eure Ausbildungen erlebt?

Justine: Ich habe in einem kleinen Betrieb erst Orthopädietechnik-Mechanikerin gelernt. Drei
Männer, die Frau des Chefs war im Büro. Ich war die erste Azubine und sozusagen ein gefundenes Fressen. Ich war früher schüchtern, die Männer haben immer Sprüche gemacht. Das hat nicht dazu beigetragen, dass man selbstbewusster wird. Dadurch habe ich mir weniger zugetraut. Ich hatte mich mit den Problemen an die Schule gewandt, aber wurde da nicht ernst genommen. Es wurde gesagt, es liegt an mir selbst, wegen der Schüchternheit… Es ist für viele Frauen so, dass man in der Ausbildung diskriminiert wird, v.a. in der Orthopädietechnik. Das war damals sehr männerdominiert. Ich habe Sprüche gehört, wie: Du wirst eh nach der Ausbildung schwanger. Nachdem mein Chef mir gekündigt hatte, wurde er offen frauenfeindlicher. Ich durfte z.B. nur wenig Kundenkontakt haben, denn Frauen gehören nicht nach vorne zu Kunden. Da musste ich viel einstecken. Ich habe es durchgezogen, obwohl es echt ein Kampf war.

Konnten euch unsere Treffen mit anderen Ehemaligen helfen?
Jana: Wir alle haben Sprüche zu hören bekommen, wie ‚wenn du mit jmd. schlafen würdest, wärst entspannter‘. Mega unangenehm, man wusste nicht, wie man das zuordnen soll, an wen wendet man sich? Dann haben wir im Handwerkerinnenhaus gelernt, dass man die Sprüche nicht ertragen muss, dass man sich wehren kann. Viele Sprüche, die man bekommen hat, verletzen einen immer noch. Über den Austausch im Ehemaligen-Treffen haben wir erkannt, dass das nicht normal ist. Man muss das nicht akzeptieren. Solche Sprüche sind nicht lustig, sie sind frauenfeindlich. Es tut so gut, wenn man weiß, dass man nicht alleine ist, dass es anderen auch so geht.
Justine: Ein Kollege meinte, du musst mal mit deinen Problemen selbst klarkommen. Mit 16 weiß man einfach nicht was normal ist, was erlaubt ist. Man kommt frisch aus der Schule. Auch Lehrer haben mal einen doofen Spruch gemacht, da hat man sich auch nicht gewehrt. Bei Ausbildern ist das nochmal schwerer, die können einem noch mehr schaden. Die können einem die komplette Ausbildung versauen. In meiner 2. Ausbildung hatten wir den Stammtisch. Hanna (Sozial-Pädagogin) hatte ihre Unterstützung angeboten, es war gut zu wissen, dass ich da jemanden hatte.


Ihr habt mit uns eine Handreichung für Ausbilderinnen geschrieben. War das ein Weg, um euch zur Wehr zu setzen?
Justine: Ja, wir Ehemaligen haben soviele negative Erfahrungen gemacht in unserer Ausbildung. Ausbilderinnen müssen merken, dass sie verantwortlich sind für die Azubis, dass sie sie unterstützen müssen. Ich mache das jetzt auch in meinem Beruf. Ich möchte nicht, dass es anderen ergeht wie mir selbst damals. Ich möchte unsere Azubinen und Praktikantinnen beschützen. Da greife ich ein und weise darauf hin, dass solche Sprüche nicht lustig sind, manche sogar Alpträume von so einem Verhalten bekommen. Mir ist es wichtig, die anderen, die nachkommen zu beschützen. Ich stehe für die Azubinen ein und die wissen, dass sie zu mir kommen können, dass ich zuhöre. Das hilft einem, weil ich weiß, wie manches einen im Nachhinein immer noch verletzt. Ich hätte mir gewünscht, dass jemand für mich einsteht. Ich kann die Welt nicht retten, aber ein Stück weit besser machen. Ich kann zuhören, Tipps geben, damit man nicht traurig nach Hause muss.

Jana: Das Schreiben hat uns auch geholfen, einfach dadurch, dass wir schreiben konnten, was wichtig ist. Ich hatte Angst, denn oft denken die Ober-Chefs, die Chefs in den Filialen haben immer Recht, die Azubinen nicht. Aber ich fand es wichtig, meine Meinung zu sagen. Es ist wichtig, mutig zu sein. Als die Handreichung fertig war, habe ich mich toll gefühlt. Es war mir egal, ob ich dafür Ärger auf meiner Arbeit bekomme. Es muss sich was ändern. Das pusht einen auch auf der Arbeit. Toll, dass wir das schreiben konnten. Ich bin stolz darauf, auch wenn ich höre, dass es gut angekommen ist, dass man sieht, man hat was losgetreten, auch in anderen Städten und Firmen.

Die Handreichung ist sehr erfolgreich und wird immer wieder bei uns angefragt. Die
Handwerkskammer Berlin hat sie als Vorlage für ihre eigene Arbeit genommen. Was würdet ihr sagen – ändert sich etwas?

Justine: Es hat sich schon gebessert, in die Orthopädietechnik kommen immer mehr Frauen. In der Pflegeausbildung hat man direkt gemerkt, da weht ein anderer Wind. Da habe ich direkt Anschluss gefunden, wir waren 15 Mädchen, 15 Jungen. Die Ausgewogenheit ist cool. Man hat auch gemerkt, die brauchen Azubis, die wollen dir helfen. Die heutige Generation ist anders gestrickt, die haben nicht mehr so die Geschlechter-Klischees im Kopf. Viele wollen Ausbilder werden, damit sie die Jüngeren gut begleiten können.
Jana: Früher gab es keine richtigen Ansprechpartner bei Problemen. Man hatte Angst, dass
vertrauliche Dinge einfach weitergesagt werden. Heute ist das besser. Die Handwerkskammer achtet auch mehr darauf.

Wie hat die Zeit bei uns euch sonst geprägt?
Jana: Als wir im Handwerkerinnenhaus waren, war es für uns eine schwierige Zeit. Unsere Schwester war magersüchtig. Das HWH war ein bisschen Zufluchtsort, einen Tag in der Woche drehte es sich um uns, nicht um einen Streit zuhause. Zu merken, zuhause ist zuhause, hier geht es um uns, das hat so gutgetan. Das Handwerkerinnenhaus hat dazu beigetragen, dass wir nicht abgerutscht sind.

Das ist jetzt sehr berührend….
Justine: Deswegen bedeutet es uns auch soviel! Es hat uns einfach sehr geholfen. Man konnte Spaß haben, wir haben praktisch gearbeitet und das Handwerk kennengelernt, aber wir konnten auch über ernste Themen reden. Das war eine schöne Kombi, das hat super für uns funktioniert.
Jana: Ihr macht einen super Job, das Team ist toll! Ich hoffe, dass ihr noch lange weiterbesteht!

Das Interview führte Mira Sin