„Wir brauchen eine wirkliche Gleichberechtigung von Mädchen und Frauen in der Gesellschaft!“

11. April 2024

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Seit fast zwanzig Jahren kooperiert das Handwerkerinnenhaus Köln mit der Förderschule sozial-emotionale Entwicklung Auguststrasse. Wir haben den Schulleiter Dirk Rathke gefragt, was ihn an der gemeinsamen Arbeit besonders überzeugt.

Wie ist die Kooperation mit uns in Ihrer Schule verortet?

Rathke: Unsere Schülerinnen der Klassen 6 und 7 bzw. 7 und 8 sind regelmäßig einmal in der Woche im Handwerkerinnenhaus. Lange Zeit hatten wir eine Mädchenklasse, hier war die Kooperation als eine wichtige Säule in der Mädchenarbeit unserer Schule verortet. Auch wenn wir aktuell keine Mädchenklasse haben, so führen doch zwei Kolleginnen die Mädchenarbeit weiter. Sie profitieren sehr von der Kooperation, an der sie anknüpfen können in der Beratung, indem sie mit den Mädchen nochmal ganz anders und intensiver ins Gespräch gehen können zu mädchen- und frauenspezifischen Fragestellungen und Anliegen.

Warum ist ein außerschulischer Lernort wie das Handwerkerinnenhaus für die Mädchen so wichtig?

Rathke: Der Zugang zu handwerklichen Tätigkeiten bleibt vielen Mädchen heute noch immer verwehrt. Oder sie trauen sich diese selbst nicht zu. Es ist ein ganz wichtiger Aspekt, im handwerklichen Tun festzustellen, dass man Talente und Fähigkeiten entwickelt bzw. diese in einem schlummern. Auf Ausstellungen, Weihnachtsmärkten oder Festen haben die Mädchen ihre selbst angefertigten Werkstücke verkauft. Immer wieder konnten wir sehen, wie die Mädchen an dieser Aufgabe gewachsen sind – weil sie ihre eigenen Produkte mit dem entsprechenden Selbstbewusstsein, dem Selbstvertrauen verkauft haben.

Für die Mädchen, die unsere Schule besuchen, ist es auch wichtig, weil wir hier mit Familien arbeiten, die eher eine klassische Rollenverteilung leben. Ihnen fehlt es somit an anderen Vorbildern. Es wird ihnen nicht soviel zugetraut in den sog. männerdominierten Bereichen. Das hindert sie daran, überhaupt aktiv zu werden, z.B. im Handwerk. Diese Erfahrung im Handwerkerinnenhaus hilft ihnen, einen Bereich für sich zu entdecken und die Erfahrung zu machen, dass sie etwas können, dass sie etwas leisten, dass sie Talent haben, dass sie Fähigkeiten haben und sie mit dem entsprechenden Selbstbewusstsein dann diese Tätigkeiten ausführen. Dadurch nehmen sie das Handwerk auch eher als nachschulische Perspektive für sich in den Blick. Sich zu trauen, in einen handwerklichen Beruf einzusteigen und nicht nur die klassischen sog. Mädchenberufe, wie Friseurin oder Kauffrau in Erwägung zu ziehen, darin liegt das ganze Potenzial, das geweckt wird und das den Mädchen einfach guttut.

Gibt es auch Auswirkungen auf die schulische Leistung?

Rathke: Es werden auf jeden Fall die mathematischen Fähigkeiten geschult, z.B. beim Umrechnen von Längenmaßen oder um zu verstehen, was ein Millimeter ist und wie genau man arbeiten muss. Das wirkt sich auf den Unterricht aus, nicht immer 1:1, aber den Mädchen wird deutlich: Mathe macht Sinn. Denn wenn sie ein Werkstück nicht berechnen, wenn sie mit dem Lineal oder Zirkel nicht arbeiten oder durch zwei dividieren oder eine Fläche oder den Umfang nicht berechnen können, machen sie die Erfahrung, dass sie das Werkstück nicht herstellen können. Insofern ist das ein ganz wichtiger Aspekt. Es wird eine Verknüpfung hergestellt zwischen der der Lebenswelt, der beruflichen Welt mit den entsprechenden Unterrichtsfächern. 

Welche Bedeutung hat die Pfiffigunde für Ihre Schule?

Rathke: Die Kooperation mit der Pfiffigunde ist für uns als Schule zentral, weil wir den Mädchen ab Klasse 5 bzw. 6 ein Angebot machen können. Es ist eine jahrgangsübergreifende Gruppe, das ist hilfreich, weil mädchen- bzw. frauenspezifische Themen besprochen werden können – ganz unabhängig von den männlichen Klassenkameraden. Sie trauen sich dann einfach mehr zu. Die Mädchen erleben sich selbstwirksam, sie erleben sich erfolgreich, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die zweite Ebene ist die Verknüpfung der praktischen Tätigkeit mit dem schulischen, theoretischen Wissen, das zeigt, dass beides miteinander verwoben ist. Das hilft den Schülerinnen, am Unterricht teilzunehmen und hält sie möglicherweise davon ab, in eine bestimme krisenhafte Situation abzudriften wie z.B. die Schule nicht zu besuchen, sondern dranzubleiben. Wir stellen immer wieder fest, wie wichtig das für die Mädchen ist.

In der Kneifzange kooperieren wir und stellen dafür die Lehrkraft, die einen Teil des gemeinsamen Projekts trägt und den Unterricht verantwortet. Wichtig ist, dass die Schulmüden-Projekte auch eine ausgebildete Lehrkraft für den Unterricht haben, dadurch können die Schülerinnen im Handwerkerinnenhaus auch den Hauptschulabschluss machen. Das ist ein zentraler Teil der Kooperation. Und eine Forderung von uns als Schule ist es natürlich, dass die Bereitstellung von Lehrkräften in Schulmüdenprojekten sichergestellt sein muss und dass die Schulen durch die Abordnung keinen Nachteil tragen.

Was begeistert sie sonst noch an der Kooperation?

Rathke: Jedes Mal, wenn ich in das Haus komme, in die Werkstatt, fühle ich mich wohl. Ich liebe diesen Geruch von frisch geschnittenem Holz. Aber das ist nur meine persönliche Anmerkung. Unsere Mädchen gehen gerne zu Ihnen. Sie kommen mit anderen Menschen zusammen, mit Handwerkerinnen und Pädagoginnen, die vorleben, dass Handwerk eine berufliche Option ist, die glücklich machen kann. Das ist einfach toll. Ich wünsche mir ein Stück mehr Emanzipation. Das Handwerk insgesamt ist ja trotz einiger Entwicklung immer noch sehr mit Vorurteilen belastet – Mädchen gegenüber ist man immer noch sehr reserviert, weil die dort vorherrschende Männerkultur doch sehr einseitig ist. Den Mädchen wird nichts zugetraut. Das ist für mich auch die politische Message: Wir brauchen eine wirkliche Gleichberechtigung von Mädchen und Frauen in der Gesellschaft!

Das Interview führte Mira Sin.