Liebe Frau Oberbürgermeisterin, liebe Jury des Else-Falk-Preises, liebe Frau Mötting, liebe Gäst*innen,
Ich bin immer noch überwältigt von meiner Ernennung als Preisträgerin und empfinde es als eine riesengroße Ehre, den diesjährigen Else-Falk-Preis zu erhalten!
Ganz, ganz herzlichen Dank dafür an die Jury!!!
Und liebe Frau Mötting – an Sie ein besonders herzliches Dankeschön für Ihre wertschätzenden und berührenden Worte!!
Bedanken möchte ich mich auch beim Frauengeschichtsverein und dem DGB Stadfrauenausschuss, die mich (heimlich, still und leise) vorgeschlagen haben!
Als ich 1997 über eine ABM-Stelle als Handwerkerin für den Bau eines Mädchenwerkstattgebäudes ins Handwerkerinnenhaus kam, hätte ich mir nicht träumen lassen, hier schon an meinem zukünftigen Arbeitsplatz mitzuarbeiten ——- geschweige denn, den Rest meines Arbeitslebens hier zu verbringen!!
Ich hatte das Glück, dass mir die damaligen Vorstandsfrauen 1998 – nach Fertigstellung des Werkstattgebäudes – eine Festanstellung im präventiven Baustein des damals neu installierten Schulmüdenprojekts „Mädchenprojekt Zukunft“ anboten.
Ich nahm an — und blieb.
Es folgten zudem – neben meiner Arbeit im „Mädchenprojekt Zukunft“ – 16 Jahre als ehrenamtliche, geschäftsführende Vorständin des Handwerkerinnenhauses.
Ich bin sehr glücklich, dass ich als Vorständin einen Beitrag leisten konnte, das Angebot für Mädchen um z.B. den Baustein „handwerklich-technische Berufsorientierung“ (Holly Wood) zu erweitern, dass HWH bekannt zu machen und Förderungen und Finanzierungen für unsere Angebote einzuwerben.
Aber das geht natürlich nicht ganz alleine – mein Dank gilt hier auch meinen damaligen Vorstandskolleginnen Andrea Braun und Iana Hellwig – wir haben viel gemeinsam erkämpft und viele mutige Entscheidungen getroffen!!
Fühlt euch durch diesen Preis mit geehrt!
Ebenso ist das beste Konzept nichts wert, wenn es nicht durch engagierte Frauen mit Leben gefüllt wird – hier gehört mein Dank dem gesamten Team des HWH mit all seinen alten und neuen Kolleginnen.
Ein Teil dieser Ehrung gehört auch Euch!
Der eben gezeigte Film hat Ihnen hoffentlich einen kleinen Einblick in meine alltägliche Arbeit im Handwerkerinnenhaus gegeben.
An dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön an die Regisseurin Antonia Uhl und ihre Kamerafrau für ihre sensiblen Dreharbeiten und schönen Bilder, die sie eingefangen haben!!
Es ist so schön zu sehen, wie schnell sich die Mädchen auf die – oft für sie fremde – handwerkliche Arbeit einlassen,
mit wieviel Freude und Durchhaltevermögen sie in der Werkstatt dabei sind,
wie sie bei uns Talente und Fähigkeiten entdecken und Selbstwirksamkeit erfahren,
und vor allem: eigene Vorstellungen von einer selbstbestimmten Lebens- und Berufsperspektive entwickeln.
Darauf bin ich jedes Jahr auf`s Neue sehr stolz – Routine ist hier ein Fremdwort – denn:
Jedes einzelne Mädchen verdient Respekt,
verdient Wertschätzung,
verdient Unterstützung,
verdient eine individuelle Wahrnehmung ihrer Lebenslage/-situation.
Lassen Sie mich von Janine erzählen, die junge Frau aus dem Film. Sie steht hier stellvertretend für 1000de von Mädchen, die ich in meiner Zeit im HWH begleiten durfte.
Sie kam in der 8. Klasse einer Hauptschule zu mir in die „Pfiffigunde“ und hat schon nach kurzer Zeit Vertrauen in sich gefasst und Leidenschaft für das Handwerk für sich entdeckt.
Das gab ihr die Motivation, ihren Schulabschluss zu schaffen, die Ausbildung zur Tischlerin zu machen, das Abitur zu absolvieren und das Studium der Sozialpädagogik erfolgreich abzuschließen. Nun verbindet Janine Werkpädagogik und Sozialpädagogik in einem Wohnheim für psychisch Kranke — und plant auch noch ein Psychologiestudium, wie sie mir letztens erzählte!!
Liebe Janine, Du kannst unglaublich stolz sein auf Dich und das, was Du Dir aufgebaut hast!!
Dieses Beispiel zeigt einmal mehr, wieviel Potenzial der Gesellschaft verloren geht, wieviel Talente ungenutzt bleiben, wenn nicht ausreichend in chancengerechte Bildung und Kinder- und Jugendarbeit investiert wird!
Der Einsatz für Geschlechter- und Bildungsgerechtigkeit,
für die Verbesserung der Chancen für Mädchen auf ein selbstbestimmtes Leben jenseits von Geschlechtsstereotypen —– und das in Verbindung mit der werkpädagogischen Arbeit in der Werkstatt – das sind einfach meine Herzensthemen, für die ich mich seit 26 Jahren in Politik und Gesellschaft einsetze – hier in Köln und auf Landesebene.
Die Verknüpfung der praktischen mit der (gesellschafts-) politischen Arbeit — und dabei zu merken, dass ich damit etwas bewegen, etwas verändern kann für die Mädchen und jungen Frauen — das erfüllt mich sehr!!
An dieser Stelle könnte ich meine Dankesrede jetzt beenden.
Aber ich möchte – gerade jetzt, wo ich das Mikro habe – die Gelegenheit nutzen, noch einige Themen anzusprechen.
Themen, die mir in meiner langjährigen Arbeit immer wieder begegnen und von denen ich mir wünschen würde, dass Politik sich ihrer verstärkt annimmt:
- Thema Finanzierung:
Trotz knapper Kassen in Kommune und Land ist eine auskömmliche und vor allem verlässliche Finanzierung einer auf Kontinuität ausgerichteten Jugend- bzw. Mädchenarbeit unumgänglich – die ständige Akquise von Förder- und Spendenmitteln bindet bei uns Jugendhilfeträgern unglaublich viel Energie, die eigentlich den Teilnehmer*innen in diesen Zeiten vielfältiger psycho-sozialer Probleme zugutekommen sollte!!
Zudem müssen die Träger – gerade in Zeiten von Fachkräftemangel – in die Lage versetzt werden, adäquate Gehälter zu zahlen, um Personal zu finden und an sich zu binden.
Beides (Finanzierung der Arbeit und angemessene Gehälter) wäre eine wichtige und vor allem sinnvolle Investition in die zukünftigen Bewohner*innen dieser Stadt – unsere Kinder und Jugendlichen!!
- Thema Schulpolitik:
Bei unserer Arbeit mit den Schülerinnen sind wir durchgehend von den Folgen eines Schulsystems konfrontiert, das leider noch weit von Bildungs- und Chancengerechtigkeit entfernt ist:
- Es kommen Schülerinnen, deren familiäre, persönliche, psychische und schulische Probleme nicht bzw. nicht genügend wahrgenommen werden,
- Schülerinnen, die von einer Schulform in die nächst-untere „heruntergereicht“ werden, bis sie letztendlich frustriert und resigniert als Schulabsente und/oder ohne Schulabschluss die Schule verlassen
- Ein Schulsystem, das bereits 1.klässler*innen die Klasse wiederholen lässt (allein 850 in Köln im Jahr 2024) und damit in frühen Jahren schon Versagensgefühle und Frust vermittelt, macht meiner Ansicht nach noch einmal die Wichtigkeit individueller Lernunterstützung deutlich, aber auch, dass präventive, frühzeitig stärkende Angebote (wie z.B. die „Pfiffigunde“) dringend erforderlich sind, um spätere Schulabbrüche zu verhindern
- Zum Fachbeirat für Mädchenarbeit ist
– seit Deinem aufsehenerregenden Abschied letzte Woche, liebe Frauke Mahr, den Du noch einmal für eine Aktion zu diesem Thema vor dem Rathaus genutzt hast – erst einmal alles gesagt!
Seit 12 Jahren setzen Frauke Mahr und ich
uns für die Einsetzung eines Fachbeirats für Mädchenarbeit ein.
Zudem engagieren sich Rabea Maas vom anyway und Franziska Schädlich vom Pavillon aktiv für dieses beratende Instrument.
Bereits 2020 wurde die Einsetzung des Fachbeirats für Mädchenarbeit einstimmig im Jugendhilfeausschuss beschlossen – parallel dazu wurde ebenso ein Fachbeirat für Jungenarbeit befürwortet – es fehlt jedoch noch der Beschluss des Stadtrates.
Für heute beschränke ich mich auf den Appell an die Politik und die Verwaltung, sich für eine zügige Implementierung dieses Instruments einzusetzen!
- Große Sorge bereiten mir die zunehmenden Rückschritte hinsichtlich der Rollenerwartungen an Mädchen und Frauen und wieder erstarkender Rollenstereotype:
Laut einer Studie von PLAN International aus dem Jahr 2023 ist Männlichkeit bei Jungen offenbar noch immer geprägt von traditionellen Rollenbildern.
Als Ergebnis dieser Befragung sieht sich die Hälfte der 18 bis 35-Jährigen in einer Beziehung als „Versorger“, der das Sagen hat.
Handgreiflichkeiten gegen Frauen findet ein Drittel von ihnen in Ordnung.
Da stellt sich mir die Frage nach einer effizienten, feministischen Jungenarbeit….
ein Grund mehr, auch einen Fachbeirat für Jungenarbeit einzusetzen!
Ich könnte noch viel mehr Themen ansprechen, aber das soll für heute erstmal genügen.
Nur Eines noch:
Heute vor 75 Jahren haben 4 engagierte Frauen, die mit 61 Männern im Parlamentarischen Rat saßen, die Formulierung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes erkämpft – und wie wir heute sehen, ist noch einiges zu tun!
Wirklich geschlechterdifferenzierte und geschlechtergerechte Politik muss sich durch alle Bereiche durchziehen und mitgedacht werden – sei es bei der Stadtentwicklung, den Ursachen und der Bekämpfung von Kinderarmut, Gesundheitspolitik, Sozialpolitik, Kinder- und Jugendpolitik usw. usw.
Lasst uns alle gemeinsam daran arbeiten!!
Ich komme nun zum Schluss meiner Rede – nochmals ganz, ganz herzlichen Dank für diese Auszeichnung an alle Beteiligten!!!
Ich hoffe, dass der Preis an viele, viele weitere engagierte Frauen vergeben wird – die Auswahl hier in Köln ist ja riesengroß!!
Es gilt das gesprochene Wort.